Mittwoch, 30. Oktober 2013

Das Endrohr


Man kennt diese mickrigen Abwindröhrchen, so dünn und kurz, daß sie sich kaum unterm Heck hervortraun, stattdessen schamgeplagt nach unten kringeln wie eingezogene Dackelschwänzchen, als könnten sie ihren garstigen Ausstoß lindern, wenn sie ihn abwärts lenken; rostig braun sind sie meist, um das ganze Verschmutzungsdrama gleich noch mal an sich selbst zur Darstellung zu bringen, nicht selten sieht man sie hängen und wackeln. Allzu oft sind sie an den lächerlichen und aus dem letzten Loch pfeifenden Kleinwagen jener ökologiebewegten Frauen angebracht, die mit ihrer verächtlichen, ja destruktiven Haltung gegenüber ihren Auspuffanlagen ihre Autofahrerei hinterher ungeschehen machen wollen... Pfui!


Dagegen steht: Das „Power-Endrohr“. Es steht „armdick“, lang und gerade  – und ist es krumm, dann krümmt es sich nach oben! Anstatt sich peinlich unterm Auto zu verstecken, tritt es lieber gleich doppelt, innen rot bemalt und außen metallisch spiegelnd hervor. Soll die Körpermetapher vollends stimmen, dann auch mal aus der Mitte. Man kann sein Rohr auch vergoldet bekommen für nur hundert Mark Aufpreis. In der Endschalldämpferszene schätzt man den gepflegten Abwindkanal.


Weniger schätzt man den TÜV, der für „Sportauspuffanlagen“ bloß zwei zusätzliche Dezibel an Lautstärke toleriert. Wie aber bringt dann „das bullige Endrohr mit dem Rallye-Sound die Gefühle auf Touren“? Laut Katalog „filtert der Soundeinsatz die hohen Frequenzen aus dem Klangbild der Auspuffanlage. Der typisch kernige, sonore Klang wird durch einen speziellen Dämpferendrohraufbau erzielt.“ Durch die unzähligen Varianten des „Hochleistungs-Endrohrs“ – in poliertem Edelstahl bis zu 1700 Mark – werden „die Abgase optimal abgeführt. Toller Sound und großes Rohr stehen nicht im Widerspruch zur Umwelt... Auspuffblenden lassen Ihr Heck glänzen, verdecken die Unansehnlichkeit Ihres alten Endrohres.“ Nur wer hinten durch eine bullig fette Röhre mit vergoldetem Endloch abstinkt, kann sich rundum restlos sauber fühlen.


Der beste Weg zu einem vollen, satten oder auch blubbernden Sound führt durch den Tunnel und wird mit heruntergekurbelten Scheiben zurückgelegt. Doch die „röhrenden PS-Hirsche“, so konstatierte einst der „Stern“, werden in der dunklen Zone unterm Auto doch ein wenig hinters Licht geführt: „Das Produktversprechen der Rückstauminderung ist so hohl wie der Auspuff selber“. Und wahrlich, bei der Lektüre der Sportauspuffwerbungen gewinnt man den Eindruck, die Erzeuger von Serienwagen hätten nichts anderes im Sinn, als die Motoren an der Entfaltung ihrer vollen Leistung zu hindern, indem sie die Endrohre unnötig verstopften: „Durch die Staudruckminimierung werden vom Sportauspuff bessere Durchzugswerte erreicht, die Ihnen die nötige Sicherheit bei Überholmanövern bringen“ (D&W-Katalog). Das verhält sich wohl eher umgekehrt – das Überholmanöver, optisch wie akustisch unterstrichen vom Doppelrohr, steigert die Selbstsicherheit des Fahrers, wobei dem Rohr „die Funktion des ausgestreckten Mittelfingers zukommt“, was den „Stern“ zu dem Befund veranlaßt: „Je dicker das Rohr, desto doofer der Fahrer“.


So kritisch wollen wir hier nicht sein, halten es lieber mit Salvador Dalí, der die Ansicht vertrat: „Es ist besser in Gesellschaft zu furzen als allein in der Ecke zu sterben“. Für den Blubbersound aus dem Abwindrohr gilt ungeschmälert, was einst ein Philosoph über den Furz sagte – dieser sei ein mißglückter Versuch, die Kehrseite zum Sprechen zu bringen. Das Endrohr ist das Saxophon des Automobilisten, eine moderne Form der Kunstfurzerei. Schließlich hatte schon Hippokrates den Furz für „den überschüssigen Geist der Welt“ gehalten. Wer mehr Wind um seine Existenz machen und seinen Dunstkreis erweitern will, dem bietet die Verknüpfung von Lärm und Gestank ein willkommenes Medium, seine Ichgrenze auszudehnen. Weil die Sitte das Furzen hemmt im Dienste geruchsfreier Kommunikation, bedarf man metallener Zweitkörper, um aufgestauten Gefühlen schuldlos Luft zu machen. Mittels Auspufftopf kann man Druck ablassen und den innersten Pressionen eines verkniffenen Pneuma den Weg zu positiver Resonanz bahnen.

Es ist der Rückstau der unartikulierten Selbstverlautung, der den Drang nach Entgrenzung weckt und beim Fahren dem entfahrenden sinnlosen Laut seinen Sinn verleiht. Im Echo der Furzprothese verschafft das komprimierte Innerste sich im Äußeren Geltung. Aus diesem Grund rät Dr. Pauser zum Kauf! 



(Erstveröffentlichung in DIE ZEIT, auch erschienen in meinem Buch "Dr. Pausers Autozubehör" / Hanser Verlag)