Dienstag, 26. Februar 2013

Innovation im Rückwärtsgang: Das neueste Retro-Produkt von Manufactum














Die Welt ist voll von Mist. Doch die Redewendung vom „Müllhaufen der Geschichte“, auf dem wertlose Hervorbringungen des menschlichen Geistes gefälligst „landen“ sollten, entbehrt immer mehr ihrer anschaulichen Grundlage. Materieller Abfall endet nicht mehr auf einem Haufen, sondern wird dem Recycling zugeführt. Ausgemustertes Design aus der Ära der „Wegwerfgesellschaft“ wird heute als „Klassiker der Moderne“ dem modischen Konsum wieder eingespeist. Als „Retro“ werden neue Designprodukte bezeichnet, die Vergangenes in der Gegenwart wieder aufleben lassen.
Ein geradzu sinnbildliches Beispiel für geistiges und technisches Recycling ist das allerneueste Produkt des Nostalgie-Spezialisten Manufactum: „Der Klassiker. Mistkübel aus Stahl, feuerverzinkt. Die Jahrzehnte im Gebrauch auf deutschen Gehsteigen perfektionierte Konstruktion ist über jeden Zweifel erhaben”. In der detailverliebten Prosa des Katalogs wird deutlich, dass materialverarbeitende Technik in digitalen Zeiten an sich schon mit nostalgischen Sehnsüchten behaftet ist.
Doch welche Zweifel sind es, über die wir mit dem recycleten Recycler “erhaben” sind? Tatsächlich ist der Gesellschaft seit den 1980er Jahren die Gewissheit abhanden gekommen, dass der technische Fortschritt uns allemal Gutes bringt. Und dass daher ein neu designtes Produkt uns einer besseren Welt garantiert ein Stückchen näher rückt. Doch während die Zukunftsperspektiven schwinden, ruft die Ökonomie immer vehementer nach Innovation. In dieser Zwickmühle bietet es sich an, alte Techniken zu recyclen. Im Nostalgie-Eimer west vor sich hin das glückliche Gedenken an jene Zeit, in der Verantwortung für den Abfall noch kein Thema war.

Sonntag, 10. Februar 2013

Die Kunst, Neues zu erkennen, und die Kunst






Um in der Kunst, mit dem Widerstand gegen das Neue produktiv umzugehen, zum Meister zu werden, empfiehlt sich der Besuch eines Übungsgeländes. Zwei Qualitäten muss dieses aufweisen: Fehlschläge müssen dort folgenlos und dürfen kein Bisschen kränkend sein. Und für das Training muss ein Objekt zur Verfügung stehen, das optimalen Widerstand provoziert, garantiert neu ist und bei dem gesichert ist, dass sich die Überwindung der Abwehr am Ende lohnt.

Ein ideales Feld, das diese Qualifikationen mitbringt, ist die Kunst. Ihre Produktion ist auf das Neue um seiner selbst willen gerichtet, Provokation von Unverständnis ist erklärte Absicht, und das Gelingen der versuchten Einlassung wird von niemandem erwartet. Im Feld der modernen bildenden Kunst nennt man das „Sperrigkeit“ und sieht es als Qualität. Das Vergnügen, welches ein Kunstfreund aus dieser Sperrigkeit zieht, ähnelt der Freude des Sportlers, einen Widerstand durch Anstrengung und Training überwunden zu haben. Was dem Mountainbiker sein Berg, ist dem Kunstbegeisterten die anfängliche Unverständlichkeit eines Werks.

Für die allermeisten Menschen ist es nicht nachvollziehbar, warum jemand unbezahlt in seiner Freizeit die Mühe auf sich nimmt, die Komplikation der Begegnung mit etwas Unbegreiflichem wie Gegenwartskunst auf sich zu nehmen. Doch scheint es in diesem Kult gerade um die Herausforderung zu gehen, hochgradig befremdliche Erscheinungen in gedanklich wie auch emotional bewohnbare zu verwandeln. Und sich damit unter Gleichgesinnten als hochgradig aufgeschlossen auch gegenüber den Extremismen dieses Verstörungskults zu profilieren.

Erträglich gemacht wird der Affront des Kunst-Neuen durch den Kurator, der mit seiner professionellen Vorauswahl sichert, dass der schwierige Weg zur Aneignung am Ende sich als lohnend erweisen wird. Und durch die Vermittler, die mit ihrem persönlichen, kenntnisreichen und rhetorisch geübten Einsatz kognitive und emotionale Brücken bauen zwischen schon Bekanntem und dem unbegreiflich Neuen. Eine Untersuchung über Schulklassen in Museen hat ergeben, dass die Aufmerksamkeit von 17 % auf 70% ansteigt, wenn die Vermittler ihre Erklärungen bei Themen beginnen, welche die Schüler selbst beschäftigen und diesen vertraut sind.

Dieses Beispiel zeigt sowohl die Mächtigkeit des Widerstandes gegen das Verstehen von Neuem, als auch dessen Überwindbarkeit durch professionelle Reiseführer. Überträgt man es auf die Innovationsprozesse in Unternehmen, muss man feststellen, dass für das Sichöffnen gegenüber neuen Ideen weder Kuratoren noch Vermittler zur Verfügung stehen.

Im Museum lässt sich auf begleitete Weise lernen, wie sehr man gegenüber Neuem abwehrend und blind ist, selbst wenn es sich dabei um epochemachende Innovationen handelt, wie sich alsbald herausstellt. Man erfährt auch, wie sich das dem ersten Anschein nach Unbegreiflichste innerhalb einer Stunde aneignen lässt.

Wer diesen Prozess öfters durchläuft, beginnt zu verstehen, warum es in Unernehmen oft so schwierig ist, für neue Ideen Verbündete oder gar breite Akzeptanz zu finden. Und man wird skeptischer den eigenen Ablehnungen der Ideen Anderer gegenüber. In der Extremsituation eines Museums moderner Kunst, das sich als Test-Labor für Prozesse des Annehmens von Neuem auch durchaus selbst versteht, lässt sich wie nirgends sonst jene hohe Kunst und sportliche Akrobatik einüben, die man braucht, um Neues nicht zu früh vom Tisch zu wischen und um andere dabei begleiten zu können, ihre Widerstände gegen das Neue zu überwinden.