Freitag, 26. Dezember 2014

Merci. Dank als Marke und Produkt

Geschenke haben ein Problem mit der Reziprozität. Sie müssen sich vom Warentausch unterscheiden. Obwohl man einander wechselseitig etwas schenkt, muss das Schenken etwas anderes sein als das Austauschen. Der Heilige Abend muss sich irgendwie abheben von einer Tauschbörse für überflüssige Waren. 

Das Geschenk ist definiert als ein Gut, das getauscht wird in einem Ritual, das dementieren muss, dass getauscht wird. Wird eine Ware als Geschenk eingesetzt, muss sie den Anschein erwecken, einseitig und ohne künftige Erwiderung gegeben zu werden. Schenkende und Beschenkte verabreden sich zur gemeinsamen Illusion, die Austauschverhältnisse sozialer Beziehungen durch einen Ausnahmenfall zu durchbrechen. Sie unterwerfen sich der Utopie einseitiger Hingebung und lassen dabei ein Stück Kindheit wieder auferstehen. Denn nur in der frühen Kindheit gibt es real und notwendiger Weise die Gabe ohne Gegengabe. Schenkende Erwachsene schenken einander im rituellen Tauschdementi einen Moment der Regression in die kindliche Rolle des einseitig Beschenkten.

Wer ein Weihnachtsgeschenk aussucht, befindet sich daher in einem Dilemma. Ist das Geschenk allzu nützlich, wie etwa ein paar Socken, bleibt es in der Sphäre der Tauschökonomie. Ist es hingegen absolut unbrauchbar, wird es für den Beschenkten wertlos sein. Wer schenkt, muss sich daher stets bemühen, einen Kompromiss zwischen Brauchbarkeit und Nutzlosigkeit zu finden. Viele versuchen dieser paradoxen Aufgabenstellung zu entkommen, indem sie Gutscheine oder Geld im Kuvert verschenken. Das Kuvert ist die schwächste Form, einen Tauschakt mit einer unterbrechenden Zwischenstufe zu dementieren. Die Funktion aufwendiger Verpackung ist weniger die Verzögerung zur Steigerung der Vorfreude, sondern die Verdeckung des Betriebsgeheimnisses, dass jedes Schenken ein dementiertes Tauschen ist.



Neben dem Verpacken ist das Danksagen das zweit wichtigste Medium für das Tauschdementi. Wer beim Erhalt eines Geschenks „danke“ sagt, formuliert damit eine rein symbolische Gegengabe, die bekräftigt, dass das Paket im Geiste der Einseitigkeit empfangen wurde. Die Abstattung des Dankes stellt einen fiktionalen Ausgleich der ökonomischen Asymmetrie her – dabei wird kundgetan, dass damit der Austausch schon abgeschlossen ist, obwohl keine physische Gegengabe erfolgt ist. Der Vollzug dieses Rituals wird nicht davon gestört, dass eine Minute später die Gegengabe im gleichen Dementi-Modus erfolgt.

Das Schokoladenprodukt „Merci“ löst die Verpflichtung des Geschenks, den Tausch zu dementieren, mit seinem Namen und dem geschenkmäßigen Verpackungsdesign. Indem die Gabe selber schon vorweg die Rückerstattung des Dankes in sich auf nimmt und vorweg nimmt, hilft sie dem Schenkenden beim Inszenieren einer fiktiven Unterbrechung der Tauschkette. Das Schenkritual, in dessen Kontext andere Güter sich allererst in dementierte Tauschgüter, in Geschenke verwandeln, wird vom Produkt gleich mit geliefert. Anders als Socken in Weihnachtspapier ist Merci schon von vornherein ein Geschenk. Als materialisiertes Tauschdementi zwingt es den Schenkenden wie den Beschenkten auf eine höhere Ebene der Entmaterialisierung des Warentausches: Ein Dank wird geschenkt und ein Dank wird erwidert. Wer nur noch Danksagungen tauscht, hat das Tauschproblem überwunden. Danke Merci!