Freitag, 30. August 2013

Innovationen der Arbeitszeit


Der lange Abschied von der Stechuhr und die erstaunlich kurze Technikgeschichte der Arbeitszeitmessung

Zeit ist Geld. Kein Donald Duck Heft konnte je aufs Wiederholen dieses Satzes verzichten. Er war die Basis der Industriellen Revolution und ihr Sinnhorizont. Ein Glaubenssatz, der sich mit steigender Güterproduktion selbst zu bewahrheiten schien. Ihn wie ein Gebet zu wiederholen und zu verinnerlichen spendete Hoffnung für Generationen. Stellte in Aussicht, am künftigen Gewinn des Rationalisierungsprojekts Moderne irgendwie teilhaben zu können. Die Gesellschaft mittels Zeitdisziplin zur Arbeitsgesellschaft zu formen, war ein Heilsprojekt über Jahrhunderte.



Doch wie steht es heute um die Verknüpfung von Zeit und Geld? Das kulturelle Universum Donald Ducks ist in Auflösung begriffen. “Zeit ist Geld” gilt nicht mehr. Wir haben immer weniger Zeit und bekommen immer weniger Geld. Die Stechuhr wurde abmontiert, an ihre Stelle trat “das Projekt”. Es löst die traditionelle Kopplung der Bezahlung vom Zeitmaß der aufgewendeten Arbeit. Geld wert ist nur noch das Erreichen des Ziels. “Mach es zu deinem Projekt!” - mit deiner Zeit, mit der Energie deiner projizierten Wünsche, aber bitte nicht für unser Geld.

Kreativberufe und Wissensarbeiter sind die Avantgarde dieses Wandels, sind die Extremisten der Zeitverleugnung. “An die Zeit will ich bei diesem Projekt gar nicht denken!” – dieser Aufschrei durchtönt ihre Büros in größter Regelmäßigkeit, wenn auch als einzige Regelmäßigkeit inmitten dieser in nobler Zeitvergessenheit luxurierenden wie geschundenen Berufswelt. Fordert ein Kunde immer neue Gestaltungs-Varianten nach, fällt das kaum auf. Aus dem entgrenzten Zeitkontinuum der Selbstverwirklichung ist jene diskrete Einheit des Messbaren gewichen, mit der sich Anzahl noch in Zahlung übertragen ließe: die Arbeitsstunde. Sie wird nun gestaucht, bis sie ins “Arbeitspaket” passt.

Längst hat Projektarbeit sich über alle Branchen verteilt. “Projektmanager” ist der gefragteste Beruf. Ab einer gewissen Anzahl von Praktikanten und Prekariösen lohnt sich sogar dessen Fixanstellung. Das Wort “Überstunde” bekam  einen nostalgischen Klang. Es setzt jene Stunde voraus, in deren Maßzahl man schon deshalb nicht mehr rechnen kann, weil man jede Sekunde damit rechnen muss, vom Rechner unterbrochen zu werden. Die Stechuhr wurde von einer neuen Technologie überrundet. Mobiles Intenet im “always on” Modus greift jederzeit in Prozesse und Konzentrationen ein. Fordert Aufmerksamkeit, verlangt “interaktiv” Reaktion und zerteilt Zeit nicht mehr in regulierte Takte, sondern fährt irregulär und taktlos dazwischen.

Die eben skizzierten Veränderungen der Arbeitsorganisation werden meist aus politischen und ökonomischen Gründen abgeleitet: Von Neoliberalismus, Turbokapitalismus, Globalisierung und Entsolidarisierung einer Konkurrenzgesellschaft reden die Kritiker. Befürworter preisen den Ausstieg aus dem Zeitkorsett,  die gewonnene Freiheit autonomer Zeiteinteilung, die Rücksichtnahme auf persönliche körperliche und seelische Befindlichkeiten, den Zugewinn an Individualität, Verantwortung und Selbstbestimmung. Eigenzeit statt Zeitdiktat lautet das Versprechen des Arbeitsmarkts an die neuselbständige Ich-AG. Bei dieser handelt es sich um ein paradoxes Gebilde: eine Aktiengesellschaft ohne jedes Kapital, bei der das Ich übrig bleibt.

In der Nachkriegszeit wurde die Stechuhr eingeführt. Sie war nicht nur ein Instrument der Knechtung, sie fixierte auch jene Messeinheit der Arbeitsstunde, die zur Grundlage politischer Verhandlung und rechtlicher Regulierung wurde. Das in manchen Branchen bis heute fortgeführte Modell lebenslanger Fixanstellung, ausgestattet mit vielerlei rechtlichen Ansprüchen und geregelter Arbeitszeit, wurde schon in den 70er Jahren erstmals gelockert, als „mitarbeiterorientierte Gleitzeit“ kleine Freiheiten einräumte.

Eingeführt zur Motivation von Mitarbeitern in Zeiten der Vollbeschäftigung, wandelte sich ab den 80er Jahren mit wachsender Arbeitslosigkeit die Orientierung der „Flexiblen Arbeitszeitsysteme“: Nicht mehr den Angestellten, sondern primär dem Betrieb und seinen Kunden sollen diese nunmehr Vergünstigungen verschaffen. Der Funktionsverlust nationaler Grenzen setzt schließlich nicht nur Unternehmen einem globalen Wettbewerb mit Anbietern aus  „Billiglohnländern“ aus. Auch im jeweiligen Inland hat sich ein nicht territorialer Zweitmarkt gering bezahlter Arbeit etabliert, auf dem nicht Wohlfahrt, sondern Überleben zählt.

Weil nicht mehr das Verrichten von Arbeit ein knappes Gut ist, sondern die Gelegenheit, dafür Geld zu bekommen, stehen arbeitsrechtliche Errungenschaften unter Druck. Vom Markt her, aber auch seitens ihrer politischen und moralischen Selbstlegitimation. Die Fixierung der Umtauschverhältnisse zwischen Zeit und Geld hatte ursprünglich auf eine Verbesserung der finanziellen Lage der Ärmsten gezielt. Heute ist sie ein zufälliges Privileg älterer Arbeitnehmer, dessen Finanzierung auf dem Ausschluss der Nachkommenden beruht und von diesen nur noch als Ungerechtigkeit empfunden werden kann. Es zählt heute in Betrieben zur Norm, dass Menschen mit Überstundenbezahlung neben Menschen ohne Überstundenbezahlung am Schreibtisch sitzen. Mit Urlaubsanspruch, Weihnachtsgeld, Arbeitslosenversicherung – oder eben ohne. Wobei die besser ausgebildeten, motivierteren und mehr leistenden jungen Mitarbeier in der Regel ohne auskommen müssen.

Wer dieses neue Arbeitszeit-Regime ökonomischen Mächten und politischen Ideologien zuschreibt, übersieht die technischen Treiber der Globalisierung. Erst haben schnell und günstig verfügbare Verkehrsmittel alle territorial gebundenen Austauschverhältnisse geschwächt. Dann ist mit dem Internet die alte Korrelation von Raum und Zeit zusammen gebrochen. Mit dem mobilen Computing ist alles für jeden an jedem Ort und zu jeder Zeit verfügbar und bearbeitbar geworden. Gegen diese technisch induzierte Entgrenzung lassen sich tradierte Scheidungen von Arbeit und Freizeit, Selbst- und Fremdverwirklichung, Produktion und Konsum, Materiellem und Immateriellem, Autonomie und Anpassung, sportlichem und wirtschaftlichem Wettbewerb, Spiel und Pflicht nicht länger halten. Das Freizeit- und Konsumprodukt Handy unterscheidet sich von der Arbeitsmaschine Desktop nur noch im Außenmaß und Gewicht.

Arbeitszeit hat sich als differenzierende Größe aufgelöst. Spiegelbildlich ist es der Freizeit ergangen. Des Selbstverwirklichers liebste Beschäftigung ist schließlich jenes Erleben von Selbstwirksamkeit, das man einst „arbeiten“ nannte, als es noch richtige Arbeit gab. Die alte Ordnung des Hintereinander ist dem neuen Chaos des Gleichzeitigen gewichen. Situativ disponierbar sind Teilzeit, Gleitzeit, Schichtarbeit, Arbeitszeitkonto, Arbeit auf Abruf, Jahresarbeitszeitvertrag, Praktikum, Bildungskarenz, um nur einige zu nennen. „Zeit ist Geld“ gilt nur noch beim automatisierten „Trading“ der Finanzwirtschaft, wo Millisekunden zu Milliarden werden.

Warten müssen und unterbrochen werden sind die Komplikationen der neuen Zeitmaschine. Wer wollte für eine damit verbrachte Stunde noch Geld bezahlen? Zu Charlie Chaplins Sinnbild des an Uhrzeiger geketteten Menschen steht Cloudcomputing in schärfstem Kontrast. Der Takt wird nicht mehr in Sekunden, sondern in Megahertz gemessen, weit unter der Wahrnehmungsschwelle. Die mobile Dauerbegleitung des digitalen Arbeitsgeräts hat uns aus der Maschinenhalle und aus dem Zeitregime der Mechanik befreit. Die Geste des auf die Uhr Blickens ist seltener geworden. 

Fast könnte man meinen, der Mensch hätte zu jener Eigenzeit und Zeitautonomie zurück gefunden, die vor der Erfindung der Turmuhr selbstverständlich war.  Doch die Verkopplung unseres Lebens mit einer Zeit strukturierenden Maschine ist enger geworden. Auch wenn diese nicht mehr rhythmisch synchronisierend wie eine Galeere oder Dampfmaschine, sondern mit regellosen Aufenthalten und Zwischenkünften unser Kontinuum zerrüttet. Sobald das Handy sonntags piepst, merken wir, dass freie Zeit Arbeit auf Abruf ist.

Dieses Feuilleton ist erstmals in der Zeitschrift  konstruktiv  Nr. 288 erschienen. Die ungekürzte Version ist dort oder auf  scribd.com zugänglich. 


Ein Porsche ist ein nachhaltiges und kostengünstiges Produkt

Das von den österreichischen Architekten Delugan Meissl in Stuttgart erbaute Porsche-Museum inszeniert eine einzige Botschaft: Ein Porsche ist unsterblich! Von diesem Prinzip ausgenommen sind natürlich jene Wagen, die zu irreparablem Schrott gefahren wurden. Ist der Fahrer dabei gleich mit verstorben, kann man nicht mehr sagen, ihm sei sein Auto abhanden gekommen. Wahr ist jedenfalls, dass Porsches in der Regel nicht aus Altersgründen verschrottet werden. Es rentiert sich nämlich, sie zu restaurieren. Die meisten jemals gebauten Porsches, die keinen Totalcrash hatten, sind folglich noch auf den Straßen unterwegs. Wenn sie nicht, blankpoliert oder verstaubt, in wohlklimatisierten Garagen stehen. Wie zum Beispiel im Porsche-Museum.

Bildquelle: Delugan Meissl Website www.dmaa.at , Ausschnitt 








Die dekonstruktivistische Tempelanlage der automobilen Unsterblichkeit empfängt den Besucher im Eingangsbereich mit einer Restaurierwerkstätte. Hier erfährt man, dass alle im Museum gezeigten Wagen noch in Verwendung stehen. Das Museum leiht sie regelmäßig aus für Rennen und rituelle Ausfahrten. Nach ihrer Rückkehr werden sie wieder aufbereitet zum Idealzustand eines die Zeitlichkeit irdischer Existenz überdauernden musealen Objekts. Porsches sind als Museumsstücke tot und lebendig zugleich. Konsequent werden sie von den Architekten wie auf einem endlosen Band inszeniert, als wären sie auf einer Straße bloß mal zwischendurch geparkt. Der Weg zum Himmel ist mit Porsches gepflastert.

Wer bisher die Anschaffung eines solchen Autos für teuer hielt, wird hier eines Besseren belehrt. Im Angesicht der Ewigkeit schrumpft der Preis zum Schnäppchen. Und man beginnt, einen Porsche als Investitionsgut, wenn nicht als Sparschwein zu sehen. Man muss ihn deshalb ja nicht gleich rosa umlackieren.  Auch wer auf der Suche nach dem perfekten Öko-Auto ist, sollte nicht länger nach einem VW Polo schielen, sondern sich ruhig 200 PS mehr gönnen. Der höhere Benzinverbrauch wird von der Nachhaltigkeit des Wagens mehr als kompensiert!


Man muss eben nicht immer die Welt verbessern. Es genügt, sie bloß anders zu interpretieren.

Donnerstag, 29. August 2013

Innovationen der Grausamkeit: Die Post nimmt allen was


Innovation klingt gut in Konsumenten-Ohren. Weckt Hoffnung auf neue Funktionen, Produkte, Vorteile. Verspricht, dass Unternehmen danach streben, die Wünsche ihrer Kunden besser als bisher zu erfüllen. Doch es gibt auch Innovationen, mit denen sich Unternehmen Vorteile zum Schaden ihrer Kunden verschaffen. Als Konsument hasst man sie, als Innovationsmanager muss man sie anerkennen, wenn sie (im Rahmen der Gesetze) pfiffig sind…

Bildquelle: freepic.com /Ausschnitt 

Sprechen wir über die Österreichische Post. Sie ist als Ex-Staats-Monopolist neuerdings finanziell erfolgreich. Dass jeder Staatsbürger in gewissen Situationen um sie nicht herum kommt, nutzt sie aus, auf innovative Weise. Als Avantgarde einer Ökonomie der Grausamkeit.
Die Tradition des Beamtentums, Bittsteller zu schikanieren, könnte durchaus eingeflossen sein in die Entwicklung des neuen Geschäftsmodells. Der Umbau vom Amt zur „Serviceeinrichtung“ ging Schritt für Schritt. Zuerst wurde das Personal so sehr abgebaut, bis vor jedem Schalter lange Menschenschlangen warteten, täglich und zu jeder Uhrzeit. Um jede Aufmüpfigkeit des Konsumenten schon im Keim zu ersticken, wurde eine hochgradig innovative Demütigungs-Kampagne ersonnen: auf die Wandflächen hinter den nun stressgeplagt griesgrämigen Postbediensteten wurden lachende Gesichter von verkleideten Models als virtuelle Postbedienstete geklebt. Reales Personal wurde durch abgebildetes Personal ersetzt. Eine Innovation, ohne Zweifel.

Damals fragte man sich noch, während man in der Schlange wartete, ob die großformatigen  Gute-Laune-Gesichter die Kunden vielleicht beschwichtigen und bei Laune halten sollten. Ob es denn unbeabsichtigt sei, dass sowohl die Bediensteten als auch die Kunden sich von diesem Dauerlachen verhöhnt fühlen mussten. Fragte sich, warum mit diesem Kontrastprogramm des ab- und anwesenden Personals dessen reales Fehlen so überdeutlich hervor gestrichen werden musste?

Auch auf verbaler Ebene fuhr die Post eine Kompensations-Kampagne. „Die Post bringt allen was“, verkündete sie, während doch jedem Postkunden offenkundig war, dass die neue Post jedem was nimmt: Zeit nämlich, vor allem Arbeitszeit, die produktiver einsetzbar wäre als beim Schlange stehen im Postamt. Man sollte sich mal ausrechnen, wie hoch der volkswirtschaftliche Schaden in ganz Österreich ist, wenn in jedem Postamt ganztags mehrere Schlangen jedem Kunden 20 Minuten stehlen.

Seit heute weiß ich, dass die Demütigungskampagne nur Teil war einer langfristigen Strategie, die auf einen höchst innovativen Umbau des Geschäftsmodells zielte. Denn zum dritten Male innerhalb weniger Jahre wurde die Filiale umgestaltet. Erst rückte die BAWAG Bank herein. Ihr folgte ein Papier- und Büroartikel-Fachhandel. Dann kam der Handy-Anbieter A1 mit immer mehr Elektronik-Geräten im Schlepptau. Fernsehapparate, Bücher, Filme, Musik-CDs und nunmehr auch Tschibo-Eduscho mit Kaffee, Mode und Küchenutensilien runden die allumfassende Produktpalette des Universalversorgers Post ab.

Doch warum sollten die Menschen all diese Waren justament in der Schalterhalle eines Postamts erwerben wollen? An diesem Punkt zeigt sich erst die geniale Innovation in der Entwicklung des Geschäftsmodells: Anders als in Einkaufszentren und auf Shoppingmeilen bestimmt hier der Konsument die Geschwindigkeit seiner Schritte nicht selbst. Vielmehr wird er beim Schlange stehen in den kleinst möglichen Schritten an den Regalen vorbei geführt oder vor diesen fixiert. 

Die langfristige Einübung des Schlange Stehens, das dem westlichen Konsumenten sonst nur noch aus der Nachkriegs- oder Ostblock-Geschichte bekannt war, bringt nun Rendite. Zwangsaufenthalt vor vollen Regalen ist als Vermarktungsmodell ohne Beispiel. Der Clou dabei: je langsamer die Abfertigung an den Schaltern vor sich geht, um so länger stehen alle Kunden im unfreiwillig betretenen Supermarkt. Mit steigender Verzweiflung steigt auch der Impuls, sich durch einen Impulskauf von Unnötigem über die missliche Lage zu trösten.

Dieses Geschäftsmodell ist einzigartig, funktioniert nur bei teilprivatisierten Monopolisten und ist auf andere Branchen leider nicht übertragbar. Und doch muss man als Innovationsmanager den Hut ziehen vor der neuen Führung der Post. Wenn auch gespeist aus altem Ungeist, ist ihr eine Innovation im Vertriebsmodell gelungen, die genial ist und Gewinne schreibt. Als Innovationsmanager muss man das lieben. Als „Kunde“ darf man es trotzdem hassen.