Donnerstag, 29. August 2013

Innovationen der Grausamkeit: Die Post nimmt allen was


Innovation klingt gut in Konsumenten-Ohren. Weckt Hoffnung auf neue Funktionen, Produkte, Vorteile. Verspricht, dass Unternehmen danach streben, die Wünsche ihrer Kunden besser als bisher zu erfüllen. Doch es gibt auch Innovationen, mit denen sich Unternehmen Vorteile zum Schaden ihrer Kunden verschaffen. Als Konsument hasst man sie, als Innovationsmanager muss man sie anerkennen, wenn sie (im Rahmen der Gesetze) pfiffig sind…

Bildquelle: freepic.com /Ausschnitt 

Sprechen wir über die Österreichische Post. Sie ist als Ex-Staats-Monopolist neuerdings finanziell erfolgreich. Dass jeder Staatsbürger in gewissen Situationen um sie nicht herum kommt, nutzt sie aus, auf innovative Weise. Als Avantgarde einer Ökonomie der Grausamkeit.
Die Tradition des Beamtentums, Bittsteller zu schikanieren, könnte durchaus eingeflossen sein in die Entwicklung des neuen Geschäftsmodells. Der Umbau vom Amt zur „Serviceeinrichtung“ ging Schritt für Schritt. Zuerst wurde das Personal so sehr abgebaut, bis vor jedem Schalter lange Menschenschlangen warteten, täglich und zu jeder Uhrzeit. Um jede Aufmüpfigkeit des Konsumenten schon im Keim zu ersticken, wurde eine hochgradig innovative Demütigungs-Kampagne ersonnen: auf die Wandflächen hinter den nun stressgeplagt griesgrämigen Postbediensteten wurden lachende Gesichter von verkleideten Models als virtuelle Postbedienstete geklebt. Reales Personal wurde durch abgebildetes Personal ersetzt. Eine Innovation, ohne Zweifel.

Damals fragte man sich noch, während man in der Schlange wartete, ob die großformatigen  Gute-Laune-Gesichter die Kunden vielleicht beschwichtigen und bei Laune halten sollten. Ob es denn unbeabsichtigt sei, dass sowohl die Bediensteten als auch die Kunden sich von diesem Dauerlachen verhöhnt fühlen mussten. Fragte sich, warum mit diesem Kontrastprogramm des ab- und anwesenden Personals dessen reales Fehlen so überdeutlich hervor gestrichen werden musste?

Auch auf verbaler Ebene fuhr die Post eine Kompensations-Kampagne. „Die Post bringt allen was“, verkündete sie, während doch jedem Postkunden offenkundig war, dass die neue Post jedem was nimmt: Zeit nämlich, vor allem Arbeitszeit, die produktiver einsetzbar wäre als beim Schlange stehen im Postamt. Man sollte sich mal ausrechnen, wie hoch der volkswirtschaftliche Schaden in ganz Österreich ist, wenn in jedem Postamt ganztags mehrere Schlangen jedem Kunden 20 Minuten stehlen.

Seit heute weiß ich, dass die Demütigungskampagne nur Teil war einer langfristigen Strategie, die auf einen höchst innovativen Umbau des Geschäftsmodells zielte. Denn zum dritten Male innerhalb weniger Jahre wurde die Filiale umgestaltet. Erst rückte die BAWAG Bank herein. Ihr folgte ein Papier- und Büroartikel-Fachhandel. Dann kam der Handy-Anbieter A1 mit immer mehr Elektronik-Geräten im Schlepptau. Fernsehapparate, Bücher, Filme, Musik-CDs und nunmehr auch Tschibo-Eduscho mit Kaffee, Mode und Küchenutensilien runden die allumfassende Produktpalette des Universalversorgers Post ab.

Doch warum sollten die Menschen all diese Waren justament in der Schalterhalle eines Postamts erwerben wollen? An diesem Punkt zeigt sich erst die geniale Innovation in der Entwicklung des Geschäftsmodells: Anders als in Einkaufszentren und auf Shoppingmeilen bestimmt hier der Konsument die Geschwindigkeit seiner Schritte nicht selbst. Vielmehr wird er beim Schlange stehen in den kleinst möglichen Schritten an den Regalen vorbei geführt oder vor diesen fixiert. 

Die langfristige Einübung des Schlange Stehens, das dem westlichen Konsumenten sonst nur noch aus der Nachkriegs- oder Ostblock-Geschichte bekannt war, bringt nun Rendite. Zwangsaufenthalt vor vollen Regalen ist als Vermarktungsmodell ohne Beispiel. Der Clou dabei: je langsamer die Abfertigung an den Schaltern vor sich geht, um so länger stehen alle Kunden im unfreiwillig betretenen Supermarkt. Mit steigender Verzweiflung steigt auch der Impuls, sich durch einen Impulskauf von Unnötigem über die missliche Lage zu trösten.

Dieses Geschäftsmodell ist einzigartig, funktioniert nur bei teilprivatisierten Monopolisten und ist auf andere Branchen leider nicht übertragbar. Und doch muss man als Innovationsmanager den Hut ziehen vor der neuen Führung der Post. Wenn auch gespeist aus altem Ungeist, ist ihr eine Innovation im Vertriebsmodell gelungen, die genial ist und Gewinne schreibt. Als Innovationsmanager muss man das lieben. Als „Kunde“ darf man es trotzdem hassen.