Innovation klingt gut in Konsumenten-Ohren. Weckt Hoffnung
auf neue Funktionen, Produkte, Vorteile. Verspricht, dass Unternehmen danach
streben, die Wünsche ihrer Kunden besser als bisher zu erfüllen. Doch es gibt
auch Innovationen, mit denen sich Unternehmen Vorteile zum Schaden ihrer Kunden
verschaffen. Als Konsument hasst man sie, als Innovationsmanager muss man sie anerkennen,
wenn sie (im Rahmen der Gesetze) pfiffig sind…
Bildquelle: freepic.com /Ausschnitt |
Sprechen wir über die Österreichische Post. Sie ist als
Ex-Staats-Monopolist neuerdings finanziell erfolgreich. Dass jeder Staatsbürger
in gewissen Situationen um sie nicht herum kommt, nutzt sie aus, auf innovative
Weise. Als Avantgarde einer Ökonomie der Grausamkeit.
Die Tradition des Beamtentums, Bittsteller zu schikanieren,
könnte durchaus eingeflossen sein in die Entwicklung des neuen
Geschäftsmodells. Der Umbau vom Amt zur „Serviceeinrichtung“ ging Schritt für
Schritt. Zuerst wurde das Personal so sehr abgebaut, bis vor jedem Schalter
lange Menschenschlangen warteten, täglich und zu jeder Uhrzeit. Um jede
Aufmüpfigkeit des Konsumenten schon im Keim zu ersticken, wurde eine hochgradig
innovative Demütigungs-Kampagne ersonnen: auf die Wandflächen hinter den nun
stressgeplagt griesgrämigen Postbediensteten wurden lachende Gesichter von verkleideten
Models als virtuelle Postbedienstete geklebt. Reales Personal wurde durch
abgebildetes Personal ersetzt. Eine Innovation, ohne Zweifel.
Damals fragte man sich noch, während man in der Schlange
wartete, ob die großformatigen Gute-Laune-Gesichter die Kunden vielleicht
beschwichtigen und bei Laune halten sollten. Ob es denn unbeabsichtigt sei,
dass sowohl die Bediensteten als auch die Kunden sich von diesem Dauerlachen
verhöhnt fühlen mussten. Fragte sich, warum mit diesem Kontrastprogramm des ab-
und anwesenden Personals dessen reales Fehlen so überdeutlich hervor gestrichen
werden musste?
Auch auf verbaler Ebene fuhr die Post eine
Kompensations-Kampagne. „Die Post bringt allen was“, verkündete sie, während
doch jedem Postkunden offenkundig war, dass die neue Post jedem was nimmt: Zeit
nämlich, vor allem Arbeitszeit, die produktiver einsetzbar wäre als beim Schlange
stehen im Postamt. Man sollte sich mal ausrechnen, wie hoch der volkswirtschaftliche
Schaden in ganz Österreich ist, wenn in jedem Postamt ganztags mehrere
Schlangen jedem Kunden 20 Minuten stehlen.
Seit heute weiß ich, dass die Demütigungskampagne nur Teil
war einer langfristigen Strategie, die auf einen höchst innovativen Umbau des
Geschäftsmodells zielte. Denn zum dritten Male innerhalb weniger Jahre wurde
die Filiale umgestaltet. Erst rückte die BAWAG Bank herein. Ihr folgte ein
Papier- und Büroartikel-Fachhandel. Dann kam der Handy-Anbieter A1 mit immer
mehr Elektronik-Geräten im Schlepptau. Fernsehapparate, Bücher, Filme,
Musik-CDs und nunmehr auch Tschibo-Eduscho mit Kaffee, Mode und
Küchenutensilien runden die allumfassende Produktpalette des
Universalversorgers Post ab.
Doch warum sollten die Menschen all diese Waren justament in
der Schalterhalle eines Postamts erwerben wollen? An diesem Punkt zeigt sich
erst die geniale Innovation in der Entwicklung des Geschäftsmodells: Anders als
in Einkaufszentren und auf Shoppingmeilen bestimmt hier der Konsument die
Geschwindigkeit seiner Schritte nicht selbst. Vielmehr wird er beim Schlange
stehen in den kleinst möglichen Schritten an den Regalen vorbei geführt oder
vor diesen fixiert.
Die langfristige Einübung des Schlange Stehens, das dem
westlichen Konsumenten sonst nur noch aus der Nachkriegs- oder Ostblock-Geschichte
bekannt war, bringt nun Rendite. Zwangsaufenthalt vor vollen Regalen ist als
Vermarktungsmodell ohne Beispiel. Der Clou dabei: je langsamer die Abfertigung
an den Schaltern vor sich geht, um so länger stehen alle Kunden im unfreiwillig
betretenen Supermarkt. Mit steigender Verzweiflung steigt auch der Impuls, sich
durch einen Impulskauf von Unnötigem über die missliche Lage zu trösten.
Dieses Geschäftsmodell ist einzigartig, funktioniert nur bei
teilprivatisierten Monopolisten und ist auf andere Branchen leider nicht
übertragbar. Und doch muss man als Innovationsmanager den Hut ziehen vor der
neuen Führung der Post. Wenn auch gespeist aus altem Ungeist, ist ihr eine
Innovation im Vertriebsmodell gelungen, die genial ist und Gewinne schreibt. Als
Innovationsmanager muss man das lieben. Als „Kunde“ darf man es trotzdem
hassen.