Sonntag, 25. August 2019

Immersion, das Happy End der Technikgeschichte im Badewannen-Paradigma künstlich intelligenter Umgebungen



Wie wirkt sich die maschinelle Antizipation von Wünschen auf das Wünschen aus?

"Aus Ihrem Tagesverlauf am Arbeitsplatz berechnet Ihr digitaler Assistent die Wahrscheinlichkeit, mit der Sie heute nach dem Heimkommen ein Bad nehmen wollen werden. Steigt diese, beginnt Ihr Smart Home den dafür nötigen Energie- und Wasserverbrauch mit den verfügbaren Ressourcen und Ihrem Bedürfnisentwicklungsprofil abzugleichen. 

Parameter wie die Wettervorhersage für Sonnen- und Windenergie, erwartbare Preisentwicklung öffentlicher Versorgungsnetze inklusive der Strafzuschläge für Ihr Wasser- und Energienutzungsverhalten werden ebenso in den Algorithmus einbezogen wie die im Grid Ihrer Nachbarsiedlungshäuser in Kellerspeichern und E-Auto-Batterien verfügbaren Stromreserven. 

Dem antizipierten Preis Ihres Wannenbads (siehe Smart-Watch) stehen nun Ihre Bedürfnisfaktoren des Tages gegenüber. Bewegungstracker summieren die körperliche Belastung, Auswertung der Gesprächsinhalte und permanente Messung von Kreislauf und Schwitzen ergeben die psychische Belastung. 

Die für den baderelevanten Zeitpunkt erwartbaren Bedürfnisvektoren Stress, Erschöpfung, Aggression, Einsamkeit, Frustration und regressive infantil-metaphorische Lustmomente werden ebenso berücksichtigt wie der objektive und subjektive Kontostand. 

Da die Trefferquote Ihrer antizipierten Entscheidung bekanntermaßen bei 95% liegt, wird Ihr Smart Home Sie beim Betreten Ihrer Wohnung bei Ihrer Begrüßung darauf hinweisen, dass es bereits das Badezimmer im ökogesetzlichen Rahmen vorgeheizt und Badewasser in Ihrer individuellen Wohlfühltemperatur eingelassen hat!"

Dieser Text ist nicht fiktional. Sein Kern entstammt der PR-Aussendung eines Smart Home Herstellers, er ist erweitert mit anderen bestehenden und in Entwicklung befindlichen Technologien.

Das Happy End des Arbeitstages ist ein Entspannungsbad. Auf dem Weg vom aufkommenden gefühlten Bedürfnis zu seiner Befriedigung gibt es nun die neue Trennungs- und Übergangsstation der vernetzten, datenreichen und intelligenten Dingwelt, deren Programm es ist, die Wünsche des Menschen zu antizipieren. 

Drei strukturelle Veränderungen im Verhältnis zwischen Mensch und Maschine führen zusammen in eine Art Badewannen-Paradigma der neuen Technologie:

Die Maschine ist nicht mehr als Werkzeug zuhanden, ist kein begrenztes Ding, das der Mensch nutzen kann oder nicht. Vielmehr ist der Mensch eingebettet in einen maschinellen Zusammenhang. Technik wird zu einer unentrinnbaren Umgebung ohne Außen, das Verhältnis zu ihr ist die Immersion.

Sprachsteuerung und KI haben das Haus wie auch das Auto zu einem personellen Du gemacht, mit dem Dialoge geführt werden.

Big Data und mit Sensoren ausgestattete Wearables ermöglichen hochwahrscheinliche Antizipationen des Verhaltens und damit auch des Wünschens. Die aus der Vernetzung der Geräte gewachsene, lebensbegleitende Gesamtmaschine weiß früher als ich, was ich wünschen werde, und ist daher in der Lage, mir Wünsche zu erfüllen, bevor ich diese noch in mir bemerken konnte. Das Zielobjekt taucht früher auf als der Wunsch nach ihm. 

Was macht das mit der menschlichen Fähigkeit, Wünsche zu empfinden? Funktioniert die Wunschproduktion auch ohne das Gewahrwerden eines Mangels? Verschiebt sich der Wunsch, der nie gefühlt und doch erfüllt wurde, automatisch weiter auf ein alternatives Objekt? Wie unterschiedlich wirkt die Antizipationstechnik auf manifeste Wünsche und unbewusstes Begehren? 

Was passiert mit dem prinzipiellen Mangel im Psychischen, wenn ihm verwehrt ist, in einem manifesten auf ein Objekt gerichteten Wunsch nach außen getragen und in eine Aktivität des Abarbeitens transformiert zu werden? 

Das wunschantizipierende Haus ist eine Art Supermutter, die immer besser weiß, was für mich das Beste ist. Bin ich in der immersiven Technik-Badewanne im wunschlosen Glück, in einem Happy End der Technikgeschichte angekommen  - und bin ich darin immer noch Kapitän?       
             
Wolfgang Pauser