Wie wirkt sich die maschinelle Antizipation von Wünschen auf das Wünschen aus?
"Aus Ihrem Tagesverlauf am Arbeitsplatz berechnet
Ihr digitaler Assistent die Wahrscheinlichkeit, mit der Sie heute nach dem
Heimkommen ein Bad nehmen wollen werden. Steigt diese, beginnt Ihr Smart Home den
dafür nötigen Energie- und Wasserverbrauch mit den verfügbaren Ressourcen und
Ihrem Bedürfnisentwicklungsprofil abzugleichen.
Parameter wie die Wettervorhersage
für Sonnen- und Windenergie, erwartbare Preisentwicklung öffentlicher Versorgungsnetze
inklusive der Strafzuschläge für Ihr Wasser- und Energienutzungsverhalten
werden ebenso in den Algorithmus einbezogen wie die im Grid Ihrer
Nachbarsiedlungshäuser in Kellerspeichern und E-Auto-Batterien verfügbaren
Stromreserven.
Dem antizipierten Preis Ihres Wannenbads (siehe Smart-Watch) stehen
nun Ihre Bedürfnisfaktoren des Tages gegenüber. Bewegungstracker summieren die
körperliche Belastung, Auswertung der Gesprächsinhalte und permanente Messung
von Kreislauf und Schwitzen ergeben die psychische Belastung.
Die für den
baderelevanten Zeitpunkt erwartbaren Bedürfnisvektoren Stress, Erschöpfung,
Aggression, Einsamkeit, Frustration und regressive infantil-metaphorische
Lustmomente werden ebenso berücksichtigt wie der objektive und subjektive Kontostand.
Da die Trefferquote Ihrer antizipierten Entscheidung bekanntermaßen bei 95%
liegt, wird Ihr Smart Home Sie beim Betreten Ihrer Wohnung bei Ihrer Begrüßung
darauf hinweisen, dass es bereits das Badezimmer im ökogesetzlichen Rahmen vorgeheizt
und Badewasser in Ihrer individuellen Wohlfühltemperatur eingelassen hat!"
Dieser Text ist nicht fiktional. Sein Kern entstammt der
PR-Aussendung eines Smart Home Herstellers, er ist erweitert mit anderen
bestehenden und in Entwicklung befindlichen Technologien.
Das Happy End des Arbeitstages ist ein Entspannungsbad. Auf
dem Weg vom aufkommenden gefühlten Bedürfnis zu seiner Befriedigung gibt es nun
die neue Trennungs- und Übergangsstation der vernetzten, datenreichen und intelligenten
Dingwelt, deren Programm es ist, die Wünsche des Menschen zu antizipieren.
Drei
strukturelle Veränderungen im Verhältnis zwischen Mensch und Maschine führen
zusammen in eine Art Badewannen-Paradigma der neuen Technologie:
Die Maschine ist nicht mehr als Werkzeug zuhanden, ist
kein begrenztes Ding, das der Mensch nutzen kann oder nicht. Vielmehr ist der
Mensch eingebettet in einen maschinellen Zusammenhang. Technik wird zu einer unentrinnbaren
Umgebung ohne Außen, das Verhältnis zu ihr ist die Immersion.
Sprachsteuerung und KI haben das Haus wie auch das Auto
zu einem personellen Du gemacht, mit dem Dialoge geführt werden.
Big Data und mit Sensoren ausgestattete Wearables
ermöglichen hochwahrscheinliche Antizipationen des Verhaltens und damit auch
des Wünschens. Die aus der Vernetzung der Geräte gewachsene, lebensbegleitende
Gesamtmaschine weiß früher als ich, was ich wünschen werde, und ist daher in
der Lage, mir Wünsche zu erfüllen, bevor ich diese noch in mir bemerken konnte.
Das Zielobjekt taucht früher auf als der Wunsch nach ihm.
Was macht das mit der
menschlichen Fähigkeit, Wünsche zu empfinden? Funktioniert die Wunschproduktion
auch ohne das Gewahrwerden eines Mangels? Verschiebt sich der Wunsch, der nie
gefühlt und doch erfüllt wurde, automatisch weiter auf ein alternatives Objekt?
Wie unterschiedlich wirkt die Antizipationstechnik auf manifeste Wünsche und
unbewusstes Begehren?
Was passiert mit dem prinzipiellen Mangel im Psychischen,
wenn ihm verwehrt ist, in einem manifesten auf ein Objekt gerichteten Wunsch
nach außen getragen und in eine Aktivität des Abarbeitens transformiert zu
werden?
Das wunschantizipierende Haus ist eine Art Supermutter, die immer
besser weiß, was für mich das Beste ist. Bin ich in der immersiven
Technik-Badewanne im wunschlosen Glück, in einem Happy End der Technikgeschichte
angekommen - und bin ich darin immer
noch Kapitän?
Wolfgang Pauser