Dienstag, 2. April 2013

Wendepunkt der Technikentwicklung: die Fitnessmaschine

 Sowohl die Technik als auch der Mensch sind sich selbst
zum Gegenstand der Bearbeitung geworden



Betrachtet man ein Fitnesscenter als Bühne gesellschaftlicher Selbstinszenierung, so sind es vor allem alte technikgeschichtliche Bilder und Mythen, die hier dramatisiert werden. Alle Stadien der Technikentwicklung sind reihum vertreten. Die Hantel repräsentiert das einfache, von Hand zu bedienende Werkzeug. Bodybuilding-Geräte demonstrieren Rad und Hebel als archaische Urahnen der Technisierung. Davon unterscheiden sich Fitnessmaschinen, die ihre komplexere Mechanik bereits hinter Verkleidungen verstecken, um Projektionen phantastischer Wirksamkeit zu ermöglichen. Die höchst entwickelten unter ihnen, vor allem Fahrradtrainer, beinhalten auch Elektronik, Computer und Touchscreens zur Selbstrepräsentation und Simulation des “Fahrers” in einem fiktiven Gelände.

Insgesamt scheint diese Szenerie auf den ersten Blick gut geeignet, in einem Technikmuseum die Stufenleiter der Entwicklung zu illustrieren. Und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied: Alle hier versammelten Gerätschaften sind in ihrer Funktion spiegelbildliche Umkehrungen jener tradierten Techniken, die in ihnen anschaulich werden. Der Hebel etwa war bisher Inbegriff des Prinzips, den menschlichen Körper von Anstrengung zu entlasten. Und mit geringerer Kraft, klug umgelenkt, Schwereres zu bewegen. Bis heute ist der Hebel das einfachste Modell, das unser Verständnis von Technik gleichsam auf den archimedischen Punkt bringt: Die saubere Trennung von Mittel und Zweck. Das ökonomisierende Verhältnis von Aufwand und Ergebnis. Wirksamkeit, von der man sich noch vorstellen kann, dass sie nur in eine Richtung geht, und nicht zurück wirkt. Vollständige rationale Nachvollziehbarkeit und Durchschaubarkeit. Fehlen von Verselbständigung und Eigendynamik. Dienend, ohne den Herrn zu versklaven oder auch nur zu verwandeln. Weder Ressourcen vernichtend noch Abfall erzeugend. An die Natur adressiert, um diese zu beherrschen. Der Hebel, das unschuldig neutrale Stück Idealität dessen, was wir mit Technik meinen.

Im Fitnesscenter wird der Hebel so zur Anwendung gebracht, dass sich die Hebelwirkung umkehrt. Schließlich geht es hier nicht um die Entlastung des Körpers, sondern im Gegenteil, um seine optimale Belastung. Zu dieser leistet ein funktional gewendeter Hebel ebenso gute Dienste, wie ein Fahrrad, mit dem man auf der Stelle tritt.

Nun kann man Fitnessgeräte in ihrem eigenen Kontext, in welchem Körperbelastung als Zweck vorgegeben ist, durchaus als technisch beschreiben. Erweitert man jedoch den Kontext und blickt auf die Technik als Gesamtphänomen, wirken Fitnessmaschinen darin paradox. Die traditionelle Erklärung, der Mensch habe die Technik entwickelt, um sich von körperlicher Mühe zu entlasten und die Natur in eine ihm bequemere Kulturwelt umzuformen, stößt an eine Grenze, sobald Maschinen nötig sind, um die allzu entlastenden Wirkungen der Technik auf den Körper durch “effiziente” Belastung zu kompensieren. Die Fitnessmaschine ist eine Anti-Maschinen-Maschinen, genau deshalb ist ihre Bauart die präzise Umstülpung der klassischen Maschine. Nur strukturell ähnelt das Fitnesscenter der Maschinenhalle einer Fabrik – die Umkehrung der Verhältnisse von Mittel und Zweck, Arbeiter und Bearbeitetem lässt es als deren szenische Parodie erscheinen. Die Parodie aber ist eine Form, die gegenüber Verunsicherndem die Ausflucht  in harmlose Heiterkeit anbietet. Wenn nicht die Technik selbst, so ist zumindest ihre bisherige Begründung und Erklärung in eine Krise geraten. Die Fragen nach Sinn und Zweck der Technisierung sind nicht nur doppelt komplex, sondern auch paradox geworden, seit Technikkompensationstechnik notwendig ist. [...]




Ausschnitt aus dem gleichnamigen Essay, dieser steht als PDF vollständig zum Download bereit auf der Publikations-Plattform scribd.com.

Erschienen in: Konstruktiv, Zeitschrift der Österr. Kammer der Architekten und Zivilingenieure, Wien, im Dezember 2011

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