Donnerstag, 30. Januar 2014

Home, smart home


Es gibt Techniken, die sich kontinuierlich verbessern, ihrem Wesen und Zweck dabei jedoch treu bleiben. Das Projekt des intelligenten Hauses jedoch ist zwar technologisch auf dem Vormarsch, hat sich dabei aber auf seinem Weg so sehr gewandelt, dass wir gezwungen sind, seine Vision und seine Parameter von Grund auf neu zu diskutieren.


In der digitalen Welt gehen die Uhren schneller als anderswo. Beim Blättern in einer 7 Jahre alten Ausgabe der Zeitschrift smart home merkt man, wie viel sich verändert hat: Wer sich ein intelligentes Haus bauen will, möge vorsorglich zu jeder Elektroleitung einen zweiten Kabelschacht für die Steuerung unter Putz verlegen. Das soll strengen Müttern ermöglichen, von der Küche aus dem Kinderzimmer den Strom abzudrehen. Wenn Fernseher, Elektrogitarren und Spielkonsolen schweigen und das Licht ausgeht, werden die tobenden Kleinen schon einschlafen! Zumindest dann, wenn sie nicht Rache üben wollen. Und sich in jenen Kellerraum einschleichen, der damals einzuplanen war für die Steuerungs-Zentrale. WLAN gab es zwar schon, als neueste Konkurrenz zu den im Haus verteilten Infrarot-Empfängern. Aber es war so langsam, dass den Konsumenten geraten wurde, dem guten alten LAN-Kabel den Vorzug zu geben. Beim Lesen kommt beinahe so etwas wie Smart-Home-Nostalgie auf. Dabei hat das Zeitalter des intelligenten Hauses noch nicht einmal so richtig begonnen.



Hauptthema war in den Anfangsjahren der Hausautomatisierung der Wunsch nach Steuerung und Kontrolle. Die wichtigste Innovation brachte das Internet, als es vom einstmals so genannten „Cyberspace“ auf die reale Welt der Dinge übergriff. Dass Vernetzung heute drahtlos gelingt, ohne Kabelsalat, war ein weiterer wichtiger Schritt zur Akzeptanz und Machbarkeit. Und dass die Hardware der Steuerungszentrale nicht mehr ein Zimmer füllt, sondern ein Schächtelchen, ist als Baustein für das Smart Home nicht zu unterschätzen. Den letzten und entscheidenden Schritt hat das Smartphone getan, indem es die Kontrolle vom Haus löste, mobil machte und via App an die Fingerspitze des Konsumenten heranführte. 



All diese Schritte lassen sich als technische Innovationen zur Verbesserung der Steuerung und Kontrolle zusammen fassen. Es ging darum, über ein mit zahlreichen elektrischen Funktionen ausgestattetes Haus die Herrschaft zu erlangen, ohne sich vom gemütlichen Sofa erheben zu müssen. Intelligent war dabei nicht das Haus, sondern sein menschlicher Bewohner. Unser heutiges Thema ist gleichsam das umgekehrte, denn wir diskutieren über das Gesteuertwerden und Kontrolliertwerden. Vor allem darüber, wie weit wir unsere Kontrolle abgeben wollen. Möglich wurde diese Umkehrung durch den Einzug der „künstlichen Intelligenz“, das heißt, durch Computerprogramme, die sich selbst steuern und dabei vom Verhalten des Nutzers lernen, was dessen statistisch erwartbare Wünsche sind. Bis dort hin, wo die Maschine besser weiß, was ihrem Nutzer wohl gefallen wird, als er selbst. 



„Big data“ im Kleinen, für daheim, geht von der Sensorik über zur Voraussagung der Zukunft. Weil an Tagen nach einem Temperatursturz des Wetters, an denen zugleich am Arbeitsplatz ein hoher Stresspegel gemessen werden konnte, der sich in der Fahrweise des Automobils während der Heimfahrt auswerten ließ, bisher eine hohe Neigung der Hausfrau, abends ein Vollbad zu nehmen, sich aus der Verhaltensstatistik ergeben hat, wird mit dem automatischen Öffnen des Garagentors zugleich heißes Wasser in die Wanne gelassen. Damit werden Wünsche erfüllt, bevor sie noch als Wünsche subjektiv bemerkt werden konnten. Wie sich das auf das Vermögen der Menschen, Wünsche zu empfinden, auswirken wird, bleibt abzuwarten.

Erst mit der Implementierung der Künstlichen Intelligenz und der Vernetzung des Internets der Dinge beginnt das automatisierte Haus, seinem Namen „Smart Home“ gerecht zu werden. Erst, wenn das Haus selbst Sensoren hat, Messergebnisse mit bisherigen vergleicht und aus der Statistik Schlüsse zieht, die zu vom Programm initiierten Aktionen führen, kann man dem Haus selbst Intelligenz zusprechen. Dabei verwandelt es sich von einer Ansammlung dienender Maschinen zu einem Akteur, einem selbsttätigen, teilautonomen Wesen. Das Smart Home der Gegenwart ist dabei, sich ein Stück weit von seinen Bewohnern zu lösen und zu verselbständigen. 



Spannend wird die Einbettung dieser Innovation in jene kulturellen Traditionen, die das, was wir „wohnen“ nennen, stark prägen. Die Idee, dass ein Haus sich verselbständigt und sich in ein beseeltes Wesen verwandelt, ist uralt und kann zu den Archetypen der Mythologie gezählt werden. Unzählige Romane und Filme handeln von Geistern, die ein Haus aktivieren zum Eigenleben. Der „Zauberlehrling“ (bei Goethe wie bei Disney) wird die helfenden Geister, die er rief, nicht mehr los. Alle bisherigen Phantasien der Menschheit liefen in die Richtung, den Kontrollverlust über die Dingwelt, insbesondere das Haus, als Schrecknis anzusehen. Oder bestenfalls als Quelle der Heiterkeit, wie Jacques Tati in seinem Film „Mon Oncle“, einer Vorwegnahme des vollautomatisierten Hauses aus dem Jahre 1958:




Eine ganz andere und sehr neue Dimension von Befürchtungen, welche den Erfolg der Smart-Home-Technologien aktuell behindern könnten, ist mit dem Bekanntwerden der geheimdienstlichen Überwachung des Internet akut geworden. Die meisten Medien, die über den Ankauf des Raumthermostat- und Brandmelder-Herstellers „nest“ durch Google berichteten, rahmten die Meldung mit Bedenken, wie weit die Schlüsse auf das Alltagsverhalten reichen, die aus der Auswertung von Haustechnik-Daten gezogen werden können. Wer wird in Zukunft wissen, wann ich morgens aufstehe und wann ich zu Bett gehe, ob ich daheim rauche, wie oft ich dusche und wie lange? Und wie fühle ich mich dabei, in dem Bewusstsein, dass jedes (bisher) privateste Detail meiner Lebensführung unter Beobachtung steht? Selbst wenn die Selbst-Steuerung des Hauses Akzeptanz finden wird, bleibt noch die Frage offen, ob auch die Umkehr der Kontrollfunktion dafür in Kauf genommen wird. Dann nämlich, wenn nicht nur der „Hausgeist“ die Bewohner kontrolliert, sondern auch fremde Geister sich in dessen elektroneuronale Netze einflechten.



Während einzelne Unternehmen an rein technischen Lösungen im Detail arbeiten, ist nicht in Sicht, wer dafür sorgen könnte, gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen die neue Technik für ihre Konsumenten funktionieren kann, ohne zugleich gegen sie zu funktionieren in der Manier des Horrorfilms. In einer bisher bloß elektronisch vernetzten Welt wird die Formierung schlagkräftiger politischer Netzwerke durch traditionelles Konkurrenzdenken der einzelnen Firmen gebremst. Doch das intelligente Haus wird sich nur dann breit durchsetzen, wenn auch die Lieferanten seiner Details sich so intelligent vernetzten, wie das Produkt, unter dessen Dach sie sich zusammen finden müssen. Das smart home ist ein sich selbst organisierender Verbund von Apparaten. Wenn sich seine Produzenten nicht genügend organisieren, wird jeder von ihnen im Regen stehen bleiben. Das intelligente Haus gibt es nämlich nur ganz, oder gar nicht.



Die gute Nachricht für alle Innovatoren, die der Vision des animierten Wohnens zustreben, ist jedoch, dass es neben allen Hemmnissen auch einen gewaltigen Rückenwind gibt: Das menschliche Bedürfnis, nicht alleine zu sein. Auch dann nicht, und vor allem dann nicht, wenn man allein zuhause ist. Die ältesten „Technologien“ zur Befriedigung dieses Bedürfnisses sind die Haustiere. Zum Unterschied von wilden Tieren sind diese Produkte menschlicher Erfindung und Arbeit, der so genannten „Zähmung“. Mit ihnen zu wohnen ist uns so gewohnt, dass wir vergessen haben, dass Hund und Katz nicht zur Natur gehören, sondern zu den frühen und wichtigsten Innovationen der Technikgeschichte zählen. Sie sorgen seit langem dafür, dass man nicht alleine sein muss, wenn man allein zuhause ist, denn sie erfüllen den Wohnraum mit Leben. Man wird sie dereinst als Vorgängermodelle des Smarthome preisen.


Eine andere bedeutende Erfindung in dieser Linie lag nicht in der Technik selbst, sondern in der Entdeckung, dass man diese auch anders nutzen kann, als vorgesehen: Als der Fernsehapparat sich in den 60er und 70er Jahren im Wohnraum durchsetzte, wurde er noch entsprechend der alten Theorie benutzt, dass es um eine Technik der Übertragung von Information ginge, unterhaltsame Information inbegriffen. Erst in den 80er Jahren, vor allem dank MTV, verbreitete sich die Sitte, das Gerät nicht nur zum Fernsehen, sondern auch ohne hin zu sehen, als Hintergrundbespielung permanent laufen zu lassen. So wurde das TV-Gerät als Nachfolger des offenen Kaminfeuers zum Einsatz gebracht. Entzog man ihm die Aufmerksamkeit, spendete es den Sound menschlicher Stimmen und bunte bewegte Lichtreflexe. Es verwandelte sich damit von einem Übertragungsmedium zu einer Maschine, die das Gefühl menschlicher Anwesenheit generiert. So wurde der Fernseher zum Konkurrenzprodukt des Haustiers und zum Vorläufer des animierten Hauses. Wenn auch nur in jener Dimension seines Funktionierens, die das Bedürfnis nach Nicht-alleine-Sein bedient. Auch die Fernbedienung verdankt das Smarthome der Fernsehtechnik. Ohne sie wären wir vielleicht gar nicht auf die Idee gekommen, das ganze Haus fernsteuern zu wollen.

Quelle: Quelle-Katalog, Toshiba Flachbild-Fernseher.

Das Bedürfnis, nicht alleine zu sein, ist eines der stärksten. Gut möglich, dass all die technischen Rationalitäten, mit denen die einzelnen Funktionen des Smarthome zu überzeugen versuchen, nur „Rationalisierungen“ (im psychoanalytischen Sinne) sind. Scheinvernünftige Vorwände also, hinter denen ein ganz anderes, infantileres, allzu menschliches Begehren uns ein Haus ersehnen lässt, das uns lebendig begleitet, umgibt und birgt. Ein Haus, das wir mit guten Geistern selbst beseelt und intelligent gemacht haben, damit nie jene Einsamkeit einkehrt, aus der alle Phantasien des bösen Geisterhauses entsprungen sind.

Aus dieser Perspektive kann man das teilautonom agierende Haus als eine von innen nach außen gewendete Hauskatze betrachten, als animierten Leib, in dessen Mutterbauch wir uns künftig geborgener fühlen werden, als je zuvor. Sobald mein Haus mich verwöhnt, wie könnte ich mich da jemals daheim ungeliebt fühlen? Vom mütterlichen Uterus unterscheidet sich das smart home jedoch in dem wichtigen Punkt, dass man heraus kann, wann immer man will. Daher ist das treffendste Sinnbild für dieses animierte animistische Objekt: der Känguru-Beutel für Menschen.