Teamarbeit
macht klug. Teamarbeit macht blöd. Was macht den Unterschied?
Der Kapitalismus hat den Kollektivismus besiegt.
Zumindest, soweit dieser sich hinter dem Eisernen Vorhang befunden hatte. Mittlerweile
hat der Kollektivismus eine neue Heimat gefunden: das Büro. Im Herzen des
Kapitalismus, der Firma, der Organisationsform, der Arbeitswelt hat er sich eingenistet.
Und neue Namen bekommen. Flache Hierarchie, Lean Management, Teamwork,
Projektarbeit, Open Source, e-Collaboration, Crowdsourcing, Partizipation,
Selbstorganisation, Schwarmintelligenz und Open Innovation prägen das aktuelle,
vielleicht auch nur das modische Bild des Produzierens.
Manche feiern diese Entwicklung als
Demokratisierung und Aufwertung des Individuums. Andere mahnen, die Gewinne der
Massenproduktion würden mit zunehmender Größe eines Unternehmens von dessen
Verwandlung in einen basidemokratischen Debattierclub aufgezehrt. Dort würden sinkende Reallöhne mit der
Gelegenheit, sich in „Meetings“ wichtig zu machen, aufgewogen. So weit es um
bloße Reproduktion geht, möge die Bilanz in dieser Frage von Betriebswirten
gezogen werden, oder auch von stilistischer Präferenz. Bei Ingenieuren und
Architekten jedoch steht die Neuproduktion zur Debatte. Hier als technische
Innovation. Dort als baukünstlerisches Werk.
Ausgangspunkt des Neuen, und damit
jeglicher Entwicklung, sei „der Mensch“, heißt es in gut humanistischer
Tradition. Dies meinte die Figur eines bürgerlichen Individuums männlichen
Geschlechts in der seltenen Sonderform des sogenannten Originalgenies. Im Reich
der Technik trat dieses hervor als Erfinder. Dieser ist still und heimlich von
der Weltbühne verschwunden. Technische Produktentwicklung findet im Teamwork
statt. Nicht in der Garage, nicht im Dachbodenstübchen, sondern in großen
Firmen. Diese schreiben sich auch im Fall des Gelingens den Erfolg auf die
Fahnen. Die einfallsreichen Angestellten bleiben anonym und ohne weitere
Rechte.
Mit dem Verschwinden der einsamen Heldenfiguren
Erfinder und Architekt haben sich die Produktionsweisen der einst so
verschiedenen Arbeitsfelder Technik und Baukunst einander angenähert.
Mit dem Verschwinden der einsamen
Heldenfigur des Erfinders haben Kollektive das Innovieren übernommen. Gearbeitet
wird nun in wechselnden Teams, zusammengestellt für einzelne Projekte. Weder despotische
Chefs noch autoritäre Abteilungsleiter machen Vorschriften, sondern meist sehr
junge „Projektmanagerinnen“ stimmen Arbeitspakete ab, laden ein zu Meetings, vereinbaren
Prozesse und Timelines, moderieren Debatten und beschwichtigen Konflikte,
motivieren zum Durchhalten und erinnern die Mitglieder der Teams an nahende Abgabetermine.
Bloßes Ausführen ist nur noch das Schicksal der Praktikanten. Und da deren
Tätigkeit nicht bezahlt wird, braucht man sie auch nicht mehr unter Arbeit
subsumieren. Arbeit im engeren Sinne erfolgt selbstgesteuert, zumindestens dem
Anschein nach. Pflicht ist nur, per Du zu sein und sich im Habitus privat,
relaxed, gutgelaunt und im sportlichen Sinne leistungslustig zu präsentieren.
Die Bereitschaft dazu schreibt man mit dem Wort „teamfähig“ in den Lebenslauf.
Nicht nur die Arbeitsweise in
partizipativen Projektteams verbindet nun Ingenieurs- und Architekturbüros, sondern
auch die daraus entstehende Seit partizipative Projektteams das
Entwickeln vorantreiben, ist die Notwendigkeit entstanden, die verloren gegangene Erfinderpersönlichkeit
durch eine Marke zu ersetzen. Das Publikum, Medien wie Märkte, dulden nämlich
die neue Autorlosigkeit innovativer Hervorbringungen keineswegs. Für deren
Außensicht muss daher eine fiktive Persönlichkeit eigens konstruiert und
werblich kommuniziert werden. Die Firma entzieht als juristische Person schon
im Arbeitsvertrag ihren Mitarbeitern alle Rechte an deren Ideen, um diese
gebündelt für sich zu verwerten. Dieser Verlust an Autorschaft geht jedoch Hand in Hand mit einer
verstärkten Wiederkehr des Mythos vom singulären Urheber dort, wo es um die
Propaganda der „Markenpersönlichkeit“ geht.
Die Urheberschaft, eben erst zu Grabe
getragen von allerlei Begeisterungen fürs Demokratische, Kollektive und Egalitäre,
wird sogleich wieder exhumiert und als geschminkte Leiche auf dem Jahrmarkt der
Eitelkeiten zur Schau gestellt, um für das Produkt und die Verwertungsrechte
daran den Mehrwert eines Markenprodukts zu lukrieren. Gleichzeitig entwickeln
sich Urheber- und Patentschutz in entgegengesetzte Richtungen. Von Amerika aus
verbreitet sich die Tendenz, den Begriff des Patents auszuweiten. Was bisher
dem spezifisch technischen Effekt vorbehalten war, soll nun vermehrt auch
Geschäftsmodellen, runden Ecken und Pflanzensamen als Schutz vor Nachahmung zur
Verfügung stehen.
Die gegenteilige Tendenz ist in der
Entwicklung des Urheberrechts an künstlerischen Werken – wie etwa an den
Gestaltungen des Designers - zu beobachten. Im Internet hat sich eine spezielle
Kultur und rechtspolitische Überzeugung entwickelt, die am liebsten jede
schöpferische gestalterische Leistung als Gemeingut gratis zur Verfügung
gestellt sehen will. Genährt wird diese Bewegung zur Abschaffung des
Urheberrechts von der Funktionslogik des Computers, einer Kopiermaschine, die,
wie manche meinen, Kopierschutz prinzipiell technisch unmöglich macht.
Nicht nur das rechtliche, auch das
ideologische Chaos ist nach dem „Tod des Autors“ und seinem Wiederaufleben als
geschützte Marke beträchtlich. Die Begründungen, warum an eine innovative
Hervorbringung Rechte geknüpft sein sollen oder nicht, folgen nicht der Logik,
sondern der Machtposition auf dem politischen und ökonomischen Feld.
Waffengleichheit ist zwischen Saatgutkonzernen und Musikern nicht gegeben.
Doch wie gut funktioniert sie, was leistet
sie, die anonym im Team erschaffene Innovation? Sind zehn Köpfe klüger als einer, oder
verderben viele Köche den Brei? Erst kürzlich konnte ich an zwei
Kreativ-Workshops teilnehmen. Im ersten ging es um die Entwicklung einer Marke,
im zweiten um technische Produktentwicklung. Die Effekte der Teamarbeit auf die
Qualität des jeweiligen Ergebnisses könnten verschiedener nicht sein.
Ein Schweizer Markenberater lud mich zu
einem Workshop ein. Dort versammelten sich die Top-Manager des auftraggebenden Unternehmens,
Branding-Experten und Kreative. Ein Moderator führte durch den Prozess. Er
stellte Fragen nach der Identität, nach Eigenschaften, Zielen, Märkten und
Qualitäten, sowohl des Produkts als auch des Unternehmens. Im Brainstorming schrieben
die Teilnehmer ihre Antworten in Form einzelner Worte auf Kärtchen. Diese wurden
an die Wand gepinnt und in einer zweiten Runde gemeinsam evaluiert. Jede
Stimme, jeder Einfall zählte gleich viel, ausgewählt wurde demokratisch.
Zumindest in den ersten Runden. Das letzte Wort hatte der Boss.
Obwohl durchwegs intelligente Menschen
involviert sind, scheint das Verfahren geradezu dafür angelegt, Nonsens zu
produzieren. Schon beim Brainstorming wird niemandem länger als 20 Sekunden
Zeit zum Nachdenken gewährt, wie um die Wette purzeln die ersten Einfälle
hervor. Es sind die häufigsten in Medien kolportieren Klischees zum Thema. Wie
könnte es anders sein? Manager zeigen sofort eine kindische Lust daran, zwei
Stunden lang „Werber“ spielen zu dürfen. Und sich selbst zu beweisen, dass sie
Sprüche von der Sorte, die sie täglich in der Werbung hören, auch selbst
„creativ“ hervorzubringen imstande sind. Ausgewählt wird dann, was in dem Sinne
„toll klingt“, dass es genau wie die Werbung aller anderen Marktteilnehmer
klingt.
Aus geschäftlichen Gründen tut jede
Brandingagentur gut daran, ihrem Kunden die Euphorie beim Wettlauf ums
schärfste Eigenlob nicht zu vermiesen. Ist es dem Moderator gelungen, Konsens
über jene „Markenattribute“ und
„Begeisterungseigenschaften“ herzustellen, die künftig die
„Markenpersönlichkeit“ charakterisieren sollen,
bleibt ihm noch die schwierige Aufgabe, die immer gleichen Klischeeworte
(kundenorientiert, nachhaltig, motiviert, wachstumsorientiert, leidenschaftlich,
modern...) so zusammen zu montieren, dass sich Aussagen formulieren lassen, die
zumindest im Moment der Abnahme durch den Kunden diesem als einleuchtend
erscheinen. So entstehen Dokumente, die niemand verstehen kann, der bei den
Workshops nicht mit dabei war. Am Ende wird ein Logo gestaltet, von dessen
beliebiger Form behauptet wird, sie sei „die Umsetzung“ der erarbeiteten
Markenpersönlichkeit.
Der Vorteil dieses Verfahrens liegt in der
Kürze des Wegs zur Konsensbildung. Für zerstrittene Führungsetagen ein wahrer
Segen! Die Schwäche liegt darin, dass nur der kleinste gemeinsame Nenner aller
Gedanken das Rennen macht. Dieses läppische Ergebnis kann jeder überprüfen, der
sich die Mühe macht, im Internet die Mission-Statements und Markenphilosophien
großer Unternehmen zu vergleichen: Man liest in tausend schlechten
Formulierungen den immer gleichen Text. Einen Text, dessen einzige Funktion es
ist, vom Mitbewerb unterscheidbar zu machen.
Geschockt vom Erlebnis dieser planmäßigen
Verblödung mittels Teamarbeit reiste ich, den Koffer voller Vorurteile, zu einem
Kreativworkshop von LEAD Innovations, der den Prinzipien von „Open Innovation“,
insbesondere die „LEAD User Methode“ folgt. Bei dieser werden Kunden gesucht,
die das Produkt des Auftraggebers aus eigener Initiative abändern, ergänzen
oder weiter entwickeln. Bastler, Tüftler, Hobbyerfinder ebenso wie Entwickler
aus vergleichbaren Technikgebieten. Vertreter des Auftraggebers sind in der
Minderzahl. Das Brainstorming erfolgt in kleinen Runden, deren Teilnehmer nach
jeweils 20 Minuten ausgewechselt werden. Die Fragestellungen werden von Team zu
Team weiter gereicht und weiter bearbeitet. Nach zwei Tagen waren 5 innovative
Produkte entwickelt und in ihren Marktchancen evaluiert. Das Teamwork hatte
funktioniert! Besser, als jeder Einzelne, besser auch als jedes Team innerhalb
einer Organisation.
Offenbar ist die bei Ameisen und Bienen
entdeckte Schwarmintelligenz nicht umstandslos auf Menschen übertragbar. Die
Innovationskraft von Köpfen wächst keineswegs automatisch mit ihrer Zahl. Auch
wenn Neuronen einzeln dumm, und erst verschaltet intelligent sind, ist daraus
nicht zu folgern, dass man zum „Superbrain“ gelangt, bloß weil man Menschen
zusammenarbeiten lässt.
Bei technischen Aufgaben funktioniert Open
Innovation, weil jeder Einzelbeitrag vom Team sofort und vollständig rational
nachvollziehbar ist. Weil die Komplexität zwar hoch, aber doch endlich und in
Komponenten zerlegbar ist. Wesentlich zum Erfolg trägt auch das Fehlen sozialer
und ökonomischer Beziehungen zwischen den Teilnehmern bei.
Der Branding-Workshop hingegen scheiterte
nicht nur an den sozialen Beziehungen zwischen den Akteuren, sondern primär,
weil die Erzeugung von neuem Sinn nur von Menschengehirnen leistbar ist. Ein
solches Hirn muss dann auch nachdenken dürfen, ohne in dieser seiner
Spezialkompetenz von anderen systematisch behindert zu werden.
Mein Fazit aus den beiden Workshop-Erlebnissen
ist paradox: Teamwork wurde erfunden, um das Arbeiten menschlicher und sozialer
zu machen. Seine besten Ergebnisse bringt es, wenn man Gruppendynamik
unterbindet und die Teammitglieder voneinander isoliert.
* * * * *
Kurzfassung des Essays „Teamarbeit macht
klug. Teamarbeit macht blöd. Was macht den Unterschied?“ aus dem Themenheft „Werk
ohne Autor“ der Zeitschrift Konstruktiv Nr. 289, Wien 2013. Originalfassung: www.das-konstruktiv.at und http://de.scribd.com/doc/150559102/Kollektive-Innovation
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