Sonntag, 7. Juli 2013

Kollektive Innovation und Gestaltung

Teamarbeit macht klug. Teamarbeit macht blöd. Was macht den Unterschied?

Der Kapitalismus hat den Kollektivismus besiegt. Zumindest, soweit dieser sich hinter dem Eisernen Vorhang befunden hatte. Mittlerweile hat der Kollektivismus eine neue Heimat gefunden: das Büro. Im Herzen des Kapitalismus, der Firma, der Organisationsform, der Arbeitswelt hat er sich eingenistet. Und neue Namen bekommen. Flache Hierarchie, Lean Management, Teamwork, Projektarbeit, Open Source, e-Collaboration, Crowdsourcing, Partizipation, Selbstorganisation, Schwarmintelligenz und Open Innovation prägen das aktuelle, vielleicht auch nur das modische Bild des Produzierens.



Manche feiern diese Entwicklung als Demokratisierung und Aufwertung des Individuums. Andere mahnen, die Gewinne der Massenproduktion würden mit zunehmender Größe eines Unternehmens von dessen Verwandlung in einen basidemokratischen Debattierclub aufgezehrt.  Dort würden sinkende Reallöhne mit der Gelegenheit, sich in „Meetings“ wichtig zu machen, aufgewogen. So weit es um bloße Reproduktion geht, möge die Bilanz in dieser Frage von Betriebswirten gezogen werden, oder auch von stilistischer Präferenz. Bei Ingenieuren und Architekten jedoch steht die Neuproduktion zur Debatte. Hier als technische Innovation. Dort als baukünstlerisches Werk.

Ausgangspunkt des Neuen, und damit jeglicher Entwicklung, sei „der Mensch“, heißt es in gut humanistischer Tradition. Dies meinte die Figur eines bürgerlichen Individuums männlichen Geschlechts in der seltenen Sonderform des sogenannten Originalgenies. Im Reich der Technik trat dieses hervor als Erfinder. Dieser ist still und heimlich von der Weltbühne verschwunden. Technische Produktentwicklung findet im Teamwork statt. Nicht in der Garage, nicht im Dachbodenstübchen, sondern in großen Firmen. Diese schreiben sich auch im Fall des Gelingens den Erfolg auf die Fahnen. Die einfallsreichen Angestellten bleiben anonym und ohne weitere Rechte.

Mit dem Verschwinden der einsamen Heldenfiguren Erfinder und Architekt haben sich die Produktionsweisen der einst so verschiedenen Arbeitsfelder Technik und Baukunst einander angenähert.
Mit dem Verschwinden der einsamen Heldenfigur des Erfinders haben Kollektive das Innovieren übernommen. Gearbeitet wird nun in wechselnden Teams, zusammengestellt für einzelne Projekte. Weder despotische Chefs noch autoritäre Abteilungsleiter machen Vorschriften, sondern meist sehr junge „Projektmanagerinnen“ stimmen Arbeitspakete ab, laden ein zu Meetings, vereinbaren Prozesse und Timelines, moderieren Debatten und beschwichtigen Konflikte, motivieren zum Durchhalten und erinnern die Mitglieder der Teams an nahende Abgabetermine. Bloßes Ausführen ist nur noch das Schicksal der Praktikanten. Und da deren Tätigkeit nicht bezahlt wird, braucht man sie auch nicht mehr unter Arbeit subsumieren. Arbeit im engeren Sinne erfolgt selbstgesteuert, zumindestens dem Anschein nach. Pflicht ist nur, per Du zu sein und sich im Habitus privat, relaxed, gutgelaunt und im sportlichen Sinne leistungslustig zu präsentieren. Die Bereitschaft dazu schreibt man mit dem Wort „teamfähig“ in den Lebenslauf.

Nicht nur die Arbeitsweise in partizipativen Projektteams verbindet nun Ingenieurs- und Architekturbüros, sondern auch die daraus entstehende Seit partizipative Projektteams das Entwickeln vorantreiben, ist die Notwendigkeit entstanden, die verloren gegangene Erfinderpersönlichkeit durch eine Marke zu ersetzen. Das Publikum, Medien wie Märkte, dulden nämlich die neue Autorlosigkeit innovativer Hervorbringungen keineswegs. Für deren Außensicht muss daher eine fiktive Persönlichkeit eigens konstruiert und werblich kommuniziert werden. Die Firma entzieht als juristische Person schon im Arbeitsvertrag ihren Mitarbeitern alle Rechte an deren Ideen, um diese gebündelt für sich zu verwerten. Dieser Verlust an  Autorschaft geht jedoch Hand in Hand mit einer verstärkten Wiederkehr des Mythos vom singulären Urheber dort, wo es um die Propaganda der „Markenpersönlichkeit“ geht.

Die Urheberschaft, eben erst zu Grabe getragen von allerlei Begeisterungen fürs Demokratische, Kollektive und Egalitäre, wird sogleich wieder exhumiert und als geschminkte Leiche auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten zur Schau gestellt, um für das Produkt und die Verwertungsrechte daran den Mehrwert eines Markenprodukts zu lukrieren. Gleichzeitig entwickeln sich Urheber- und Patentschutz in entgegengesetzte Richtungen. Von Amerika aus verbreitet sich die Tendenz, den Begriff des Patents auszuweiten. Was bisher dem spezifisch technischen Effekt vorbehalten war, soll nun vermehrt auch Geschäftsmodellen, runden Ecken und Pflanzensamen als Schutz vor Nachahmung zur Verfügung stehen.

Die gegenteilige Tendenz ist in der Entwicklung des Urheberrechts an künstlerischen Werken – wie etwa an den Gestaltungen des Designers - zu beobachten. Im Internet hat sich eine spezielle Kultur und rechtspolitische Überzeugung entwickelt, die am liebsten jede schöpferische gestalterische Leistung als Gemeingut gratis zur Verfügung gestellt sehen will. Genährt wird diese Bewegung zur Abschaffung des Urheberrechts von der Funktionslogik des Computers, einer Kopiermaschine, die, wie manche meinen, Kopierschutz prinzipiell technisch unmöglich macht.

Nicht nur das rechtliche, auch das ideologische Chaos ist nach dem „Tod des Autors“ und seinem Wiederaufleben als geschützte Marke beträchtlich. Die Begründungen, warum an eine innovative Hervorbringung Rechte geknüpft sein sollen oder nicht, folgen nicht der Logik, sondern der Machtposition auf dem politischen und ökonomischen Feld. Waffengleichheit ist zwischen Saatgutkonzernen und Musikern nicht gegeben.

Doch wie gut funktioniert sie, was leistet sie, die anonym im Team erschaffene Innovation?  Sind zehn Köpfe klüger als einer, oder verderben viele Köche den Brei? Erst kürzlich konnte ich an zwei Kreativ-Workshops teilnehmen. Im ersten ging es um die Entwicklung einer Marke, im zweiten um technische Produktentwicklung. Die Effekte der Teamarbeit auf die Qualität des jeweiligen Ergebnisses könnten verschiedener nicht sein.

Ein Schweizer Markenberater lud mich zu einem Workshop ein. Dort versammelten sich die Top-Manager des auftraggebenden Unternehmens, Branding-Experten und Kreative. Ein Moderator führte durch den Prozess. Er stellte Fragen nach der Identität, nach Eigenschaften, Zielen, Märkten und Qualitäten, sowohl des Produkts als auch des Unternehmens. Im Brainstorming schrieben die Teilnehmer ihre Antworten in Form einzelner Worte auf Kärtchen. Diese wurden an die Wand gepinnt und in einer zweiten Runde gemeinsam evaluiert. Jede Stimme, jeder Einfall zählte gleich viel, ausgewählt wurde demokratisch. Zumindest in den ersten Runden. Das letzte Wort hatte der Boss.

Obwohl durchwegs intelligente Menschen involviert sind, scheint das Verfahren geradezu dafür angelegt, Nonsens zu produzieren. Schon beim Brainstorming wird niemandem länger als 20 Sekunden Zeit zum Nachdenken gewährt, wie um die Wette purzeln die ersten Einfälle hervor. Es sind die häufigsten in Medien kolportieren Klischees zum Thema. Wie könnte es anders sein? Manager zeigen sofort eine kindische Lust daran, zwei Stunden lang „Werber“ spielen zu dürfen. Und sich selbst zu beweisen, dass sie Sprüche von der Sorte, die sie täglich in der Werbung hören, auch selbst „creativ“ hervorzubringen imstande sind. Ausgewählt wird dann, was in dem Sinne „toll klingt“, dass es genau wie die Werbung aller anderen Marktteilnehmer klingt.

Aus geschäftlichen Gründen tut jede Brandingagentur gut daran, ihrem Kunden die Euphorie beim Wettlauf ums schärfste Eigenlob nicht zu vermiesen. Ist es dem Moderator gelungen, Konsens über jene  „Markenattribute“ und „Begeisterungseigenschaften“ herzustellen, die künftig die „Markenpersönlichkeit“ charakterisieren sollen,  bleibt ihm noch die schwierige Aufgabe, die immer gleichen Klischeeworte (kundenorientiert, nachhaltig, motiviert, wachstumsorientiert, leidenschaftlich, modern...) so zusammen zu montieren, dass sich Aussagen formulieren lassen, die zumindest im Moment der Abnahme durch den Kunden diesem als einleuchtend erscheinen. So entstehen Dokumente, die niemand verstehen kann, der bei den Workshops nicht mit dabei war. Am Ende wird ein Logo gestaltet, von dessen beliebiger Form behauptet wird, sie sei „die Umsetzung“ der erarbeiteten Markenpersönlichkeit.

Der Vorteil dieses Verfahrens liegt in der Kürze des Wegs zur Konsensbildung. Für zerstrittene Führungsetagen ein wahrer Segen! Die Schwäche liegt darin, dass nur der kleinste gemeinsame Nenner aller Gedanken das Rennen macht. Dieses läppische Ergebnis kann jeder überprüfen, der sich die Mühe macht, im Internet die Mission-Statements und Markenphilosophien großer Unternehmen zu vergleichen: Man liest in tausend schlechten Formulierungen den immer gleichen Text. Einen Text, dessen einzige Funktion es ist, vom Mitbewerb unterscheidbar zu machen.

Geschockt vom Erlebnis dieser planmäßigen Verblödung mittels Teamarbeit reiste ich, den Koffer voller Vorurteile, zu einem Kreativworkshop von LEAD Innovations, der den Prinzipien von „Open Innovation“, insbesondere die „LEAD User Methode“ folgt. Bei dieser werden Kunden gesucht, die das Produkt des Auftraggebers aus eigener Initiative abändern, ergänzen oder weiter entwickeln. Bastler, Tüftler, Hobbyerfinder ebenso wie Entwickler aus vergleichbaren Technikgebieten. Vertreter des Auftraggebers sind in der Minderzahl. Das Brainstorming erfolgt in kleinen Runden, deren Teilnehmer nach jeweils 20 Minuten ausgewechselt werden. Die Fragestellungen werden von Team zu Team weiter gereicht und weiter bearbeitet. Nach zwei Tagen waren 5 innovative Produkte entwickelt und in ihren Marktchancen evaluiert. Das Teamwork hatte funktioniert! Besser, als jeder Einzelne, besser auch als jedes Team innerhalb einer Organisation.

Offenbar ist die bei Ameisen und Bienen entdeckte Schwarmintelligenz nicht umstandslos auf Menschen übertragbar. Die Innovationskraft von Köpfen wächst keineswegs automatisch mit ihrer Zahl. Auch wenn Neuronen einzeln dumm, und erst verschaltet intelligent sind, ist daraus nicht zu folgern, dass man zum „Superbrain“ gelangt, bloß weil man Menschen zusammenarbeiten lässt.

Bei technischen Aufgaben funktioniert Open Innovation, weil jeder Einzelbeitrag vom Team sofort und vollständig rational nachvollziehbar ist. Weil die Komplexität zwar hoch, aber doch endlich und in Komponenten zerlegbar ist. Wesentlich zum Erfolg trägt auch das Fehlen sozialer und ökonomischer Beziehungen zwischen den Teilnehmern bei.

Der Branding-Workshop hingegen scheiterte nicht nur an den sozialen Beziehungen zwischen den Akteuren, sondern primär, weil die Erzeugung von neuem Sinn nur von Menschengehirnen leistbar ist. Ein solches Hirn muss dann auch nachdenken dürfen, ohne in dieser seiner Spezialkompetenz von anderen systematisch behindert zu werden.

Mein Fazit aus den beiden Workshop-Erlebnissen ist paradox: Teamwork wurde erfunden, um das Arbeiten menschlicher und sozialer zu machen. Seine besten Ergebnisse bringt es, wenn man Gruppendynamik unterbindet und die Teammitglieder voneinander isoliert.

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Kurzfassung des Essays „Teamarbeit macht klug. Teamarbeit macht blöd. Was macht den Unterschied?“ aus dem Themenheft „Werk ohne Autor“ der Zeitschrift Konstruktiv Nr. 289, Wien 2013. Originalfassung: www.das-konstruktiv.at und http://de.scribd.com/doc/150559102/Kollektive-Innovation


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